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Aufklärer seiner Klasse Zum Tod des letzten Chefs der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS Werner Großmann * 9. März 1929 in Oberebenheit, Amtshauptmannschaft Pirna, Sachsen;
† 28. Januar 2022 in Berlin
( 92 Jahre )

Von René Heilig
29.01.2022, 18:48 Uhr

Werner Großmann im Jahr 2017 bei der Vorstelung seines Buchs "Der Überzeugungstäter"
Foto: dpa/Paul Zinken

Ein Mann geht durch das vom Krieg schwer zerstörte Dresden. Erst seit Kurzem wohnt er in der sächsischen Landeshauptstadt, glücklich mit seiner Frau Brigitte, die gerade das zweite Kind erwartet. Der Mann ist gelernter Maurer, umso mehr bedrücken ihn die vielen Ruinen, die der Krieg hinterließ. Er ahnt, wie lange es dauern wird, bis hier und andernorts im zweigeteilten Deutschland wieder Leben gedeihen kann.

Umso mehr freut er sich, dass man ihn, Sohn seiner Klasse, kaum dass er auf einem Vorläufer der Arbeiter- und Bauern-Fakultät das Abitur abgelegt hatte, nach Berlin ruft. Dort soll er an einer Schule der SED lernen, wie man eine neue, gerechte und vor allem friedliche Ordnung aufbaut. So hat man es ihm gesagt. Doch angekommen im Zentralkomitee der Partei, leitete man ihn sofort weiter in die Tschaikowski-Straße im Pankower Ortsteil Niederschönhausen. Dort wird er von einem Mittvierziger begrüßt, seine Papier nimmt man ihm "zur Überprüfung der Formalien" ab. Am nächsten Tag bekommt er neue. Aus Werner Großmann, geboren als Sohn eines Zimmermanns und einer Küchengehilfin im sächsischen Oberebenheit, ist "Werner Olldorf" geworden. Seine Postadresse ist fortan ein Schließfach, Briefe an seine Frau hat er im Sekretariat der Schule abzugeben.

Den Charakter dieser Schule, so erzählte er später, habe er erst erahnt, als die Vorlesungen über nachrichtendienstliche Theorie und Praxis begannen. Schon ein Jahr darauf war "Olldorf" Mitarbeiter des Außenpolitischen Nachrichtendienstes der jungen DDR. Aus diesem erwuchs später die Hauptverwaltung A im Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Großmann absolvierte in den 60er Jahren die Parteihochschule in Moskau, studierte Anfang der 70er an der "hauseigenen" Juristischen Hochschule in Potsdam-Golm, wurde irgendwann einer der Stellvertreter des Chefs der HVA. A wie Aufklärung. 1986 übernahm er diesen Bereich des Ministeriums mit rund 4000 Mitarbeitern komplett. Zuvor hatte der bisherige, legendäre Chef der DDR-Auslandsspionage, Markus Wolf, sein Talent als Schriftsteller entdeckt und sich aus dem Dienst verabschiedet.

Angesichts der problematischen und letztlich verhängnisvollen Entwicklung des Landes bis zur Wende 1989/90 war Wolf rechtzeitig der Ausstieg aus der Verantwortung gelungen. Großmann stellte sich ihr bis Ende 1989 - und darüber hinaus. Nicht blind, nicht mit bedingungslosem Gehorsam gegenüber der SED-Obrigkeit, die den Bezug zur Realität immer mehr verlor. Wie muss sich Großmann gefühlt haben, als sein Chef, MfS-Minister Erich Mielke, im Plenum der Volkskammer stammelte, wie sehr er doch alle Menschen liebte?

In Wendezeiten versuchte Großmann, der Generaloberst, mit Zustimmung des Runden Tisches, seine Mitarbeiter - insbesondere die, die als "Kundschafter des Friedens" in den verschiedensten Operationsgebieten, also im Ausland, unentdeckt lebten - zu schützen. Während er erreichte, dass die HVA sich selbst auflösen und zahlreiche relevante Unterlagen vernichten konnte, begingen andere Verrat. Es muss für Großmann eine seiner schlimmsten Stunden gewesen sein, als er erfuhr, dass bei der Operation "Rosenholz" sämtliche Daten über die Agenten der HVA in US-amerikanische und später teilweise in die Hände anderer westlicher Dienste gelangten, zu denen der Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst gehörten.

Auch Großmann erhielt in der Wendezeit zahlreiche vergiftete Angebote, man drohte oder versprach das Himmelreich auf Erden. Vergeblich. Großmann bewies Charakter. Am 3. Oktober 1990, dem Tag der deutschen Vereinigung, wurde er auf Geheiß der "Bonner" Justiz verhaftet. Der Vorwurf mutet grotesk an: Landesverrat und Agententätigkeit. Seine Vernehmer trafen auf einen Mann, der bereits von Natur aus wortkarg war. Wenn er etwas sagte, so war das abgewogen und sachlich. Eine Anklage wurde nie erhoben. 1995 stellte der Generalbundesanwalt alle Ermittlungen gegen den einstigen DDR-Chefkundschafter ein. Er wird gute Gründe gehabt haben.

Seine Sicht auf die DDR-Aufklärung hat Werner Großmann in ein Buch geschrieben: "Bonn im Blick". Es ist nicht spannend, viel Gewese um sich konnte Großmann nie leiden. Insider entdeckten in dem im Jahr 2000 erschienenen Band wenig Futter. Verständlich, denn dem Autor kam es vielmehr darauf an, dass nicht alle Verdächtigungen und Schuldzuweisungen, die sich gegen ihn, seine Genossen und die Hauptverwaltung Aufklärung richten, unwidersprochen bleiben. So sehr man das gegenseitige Spionieren in der Zeit des Kalten Krieges auch kritisieren mag, weil es viel Leid und Misstrauen in den Alltag Unschuldiger brachte - dass die Arbeit der Menschen um und unter Werner Großmann ein Beitrag zur Sicherung des in vielerlei Hinsicht fragilen Friedens jener Jahre war, bestätigen auch etliche maßgebliche Gegenspieler Großmanns.

Der Mann, der 1952 in den Zug nach Berlin stieg, war voller Sehnsucht nach einer gerechteren Welt. Ihn trieb Zuversicht. Als Jahrzehnte später sein Land unterging und viele seiner Ideale mit in den Strudel riss, blieb Verzweiflung. Nicht aufgegeben hat er jedoch die Überzeugung: "Die Herrschaft des Geldes ist nicht die letzte Antwort der Geschichte." Am Freitag ist Werner Großmann im Alter von 92 Jahren in Berlin gestorben.


Werner Grossmann, der letzte Chef der DDR-Auslandsspionage, ist gestorben Ost-Agenten im Westen waren für ihn "Kundschafter des Friedens". Auch Jahrzehnte nach dem Mauerfall sah der letzte Chef der DDR-Auslandsspionage kein Unrecht. Nun ist Werner Grossmann gestorben.

28.01.2022, 23.09 Uhr

Werner Grossmann, ein ehemaliger Vize-Stasi-Minister, am 21. März 2017 in Berlin.
Paul Zinken / dpa

(dpa) Der letzte Chef der DDR-Auslandsspionage, Werner Grossmann, ist tot. Der frühere Vize-Minister für Staatssicherheit starb am Freitag im Alter von 92 Jahren, wie seine Tochter der Deutschen Presse-Agentur in Berlin bestätigte. Immer wieder hatten seine öffentlichen Auftritte nach der Wende Proteste ausgelöst. Grossmann, einst einer der Stellvertreter von Stasi-Chef Erich Mielke, hatte bis zum Schluss die Arbeit des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gerechtfertigt. Die Ost-Agenten im Westen seien "Kundschafter des Friedens" gewesen.

Eine Anklage gegen den früheren Stasi-Generaloberst wegen Landesverrats und Bestechung hatte der Generalbundesanwalt 1995 zurückgezogen. Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht die Strafverfolgung von hauptamtlichen Stasi-Spionagemitarbeitern als verfassungswidrig eingestuft. Grossmann hatte nach seiner Festnahme am 3. Oktober 1990 nur einen Tag im Gefängnis gesessen.

Grossmann, der 1986 Nachfolger des langjährigen Spionagechefs Markus Wolf wurde, blieb bis zur Auflösung des Stasi-Ministeriums 1990 Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung. Als Wolf im November 2006 starb, fehlte auch Grossmann nicht bei der Urnenbeisetzung auf dem Zentralfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde, wo auch die "Gedenkstätte der Sozialisten" liegt.

Umstritten, aber im Reinen mit sich

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Der gelernte Maurer aus Sachsen scharte nach dem Ende der DDR Gleichgesinnte um sich und redete die Vergangenheit schön. "Wir haben nicht wie andere Geheimdienste Staatsstreiche, Ermordungen oder Entführungen durchgeführt", hatte der Mann mit dem weißen Haar zu einer Tagung mit früheren Stasi-Offizieren in Dänemark 2007 erklärt. Das Treffen der Ex-Stasi-Größen war gerade bei Opferverbänden auf heftige Kritik gestoßen. An anderer Stelle sagte Grossmann, die MfS-Mitarbeiter hätten entsprechend der Gesetze gehandelt. Menschenrechtsverletzungen habe es generell nicht gegeben, in Einzelfragen aber möglicherweise ja.

Proteste gab es auch im März 2006, als Grossmann mit anderen Stasi- Offizieren bei einer Diskussion in der Gedenkstätte Hohenschönhausen, dem früheren Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit, auftrat und frühere Gefangene diffamierte. Grossmann hatte auch mit Bedauern festgestellt, dass dem DDR-Geheimdienst erst 1989 das ganze Ausmaß der inneren Krise in der DDR klar geworden sei.

2017 stellte er sein Gesprächsbuch "Der Überzeugungstäter" vor und breitete das Innenleben des Stasi-Apparates aus. "Ich habe nichts zu bereuen, ich habe niemandem geschadet, ich habe keine Straftat begangen", sagte der einstige Generaloberst dabei. "Ich bin voll im Reinen mit mir." Wie Tausende von DDR-Bürgern habe er geholfen, den Frieden in Europa zu erhalten. "Darauf bin ich stolz." Seine Verhaftung nach dem Mauerfall bezeichnete er "als Auszeichnung und Anerkennung meines Wirkens".

Seine einstige Tätigkeit fasste der Politikrentner so zusammen: Jeder Schritt bei relevanten Personen sei kontrolliert worden. Mithin sei das getan worden, "was heutzutage jeder Staat tut, der seine Bürger vor Terroranschlägen schützen will". Und weiter: "Wir klärten alle geplanten Standorte für US-Raketen in der BRD auf, wir erhielten Infos aus dem Nato-Hauptquartier in Brüssel". Die Hauptverwaltung Aufklärung habe alle politischen Parteien in der Bundesrepublik im Blick gehabt.


Quellen: -


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 17.07.2023 - 09:04